A R T I C L E S


Der dunkle Rest der Vergangenheit Streifzüge durch die Basaltwuste Jordaniens

Frankfurter Allegemeine Zeitung - Juni 22, 1995
Von Erika Haury

Das „land der schwarzen Städte“ nennt man jene Gegend im Nordosten Jordanien, die sich im Grenzgebiet zwischen Syrien und dem Irak erstreckt, denn seit jeher ist dunkler Basalt das Material für alles Menachenwerk. Es ist eine semiaride Wüste, die sich hier ausbreitet, übersät mit Steinen und nur dunn besiedelt. Und doch ist dies auch ein gleibendes, verwirrendes und lockended Land, wo sich in den vom Wind blankgeschliffenen Felson die Sonne bricht, Windhosen den Sand als tanzende Säulen in den Himmel tragen und uralte Ruinenstätten ihrer Entdeckung harren.

Der aus dem achten Jahrhundert stamende Palest (Qasr) „Burqu“ ist einer dieser magischen, in vollkommer Eisamkeit gelegenen Orte. Zu finden ist er nur nach dem Sonnenstand, denn die vielen Fahrspuren, die sich kreuz und quer durch die Steppe zichen, sind nur in die Irre leitende Trails, die zu den weit verstreut liegenden Behausungen der Beduinen führen. Buckelige Steinfelder wechseln sich ab mit den groben Flächen ausgetrockneter Salzseen. Die endlose Ebene glitzert wie ein Meer, in dem die würfelförmigen Zelte der Nomaden zu schwimmen scheinen - eine Fata Morgana - mit Ausnahme des verwunschenen Wassers von Burqu, ein lehmgelber Stausee, der den Eindruck erweckt, als wollte er nach den Resten des alten Omaijadenschlosses an seinem Ufer greifen. Der Damaszener Kalif Al Walid I hatte es sich für die Jagd erbauen lassen, noch immer von fast mystischer Schonheit, obwohl es verfallen ist und die Turme, die Bögen und Türstürze mit ihren griechischen und altarabischen Inschriften nur noch Fragmente sind und an den zusammengestürzten Mauern unaufhörlich der See lechzt. Qasr Burqu ist der östlichste der berühmten jordanischen,„Wustenpalaste“ aus dem siebten und achten Jahrhundert als ein Reflex auf das Kommen und Gehen bedeutender Kulturen in der historischen Landschaft des Hauren, deren Kern im heutigen Syrien um die Stadt Bosra liegt. Im Westen eine fruchtbare Kornlammer, ist der südöstliche Teil ein vulkanisches Steppengebiet, Produkt eines Lavaflusses, der sich im Mittleren Tertiär beim Entstehen des syrisch-afrikanischen Grabenbruchs über diesen ergoß.

Die Spuren menschlicher Besiedlung in dieser Gegend führen weit zuruck: Dolmen und Menhire verweisen auf Lebensformen bereits in neolithischer Zeit, frühbronzezeitliche Stätten zeugen von einem hochentwikkelten Siedlungswesen vor mehr als fünftausend Jahren, man findet intelligent angelegte Zisternen - und Dammsysteme und die wehrhaften Basaltstäde als einzigartige Sehenswürdigkeiten, unter denen „Umm el-Jemal“ gewiß die ausgedehnteste und am besten erhaltene ist.

Zwanzig Kilometer ostlich von Mafraq und dicht an der syrischen Grenze gelegen, steht sie auch im Programm vieler Studienreisen, und weil der Andrang groß geworden ist, versieht heir schon ein Torhüter sein Amt. Mehmud, ein junger Beduine, erzählt stolz von den Reisebussen, die fast jeden Tag hier haltmachen - jetzt, nach dem Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien, viele aus dem Nachbarland. Auf deutsch heißt Umm el-Jemal „Mutter der Kamele“, und als Station für die Karawanen, die schon in vorchristlicher Zeit über das Wadi Sirhan aus Südarabien heraufzogen, dürfte der Ort auch seinen Anfang genommen haben. Es folgte eine wirtschaftliche Bütezeit der Region durch das rege Handelswesen der Nabatäer, eines ursprünglich nomadisierenden arabischen Volkes, dressen Haupstadt Petra zur Legende wurde und das sich die Wüste durch raffinierte Wassergewinnungsmethoden nutzbar machte. Erhalten sind ein kilometerlanges Leitungssystem und über zwanzig Zisternen, die zum Teil noch genutzi werden. Gespeit werden sie von dem Wasser, das vom siebzehnhundert Meter hohen „Jebel ed-Druze“ herabfließt. Dieser Bergzug, unweit hinter der Grenze auf syrischem Territorium, ist die höchste Erhebung des Hauran. Sein Name gibt einen Hinweis auf die Bevölkerung, die neben Beduinen haupsächlich aus Drusen besteht. Beide Volksgruppen heißt es, seien „good friends“, doch sie leben getrennt voneinander in ihren eigenen Dörfern.

An der verbliebenen Stadstruktur läßt sich noch gut erkennen, wie das Leben der Menschen in der Spätantike aussah, in der Umm el-Jemal seine große Zeit erlebte. Unter den Archäologen ist der Ort berühmt für seine Hausarchitektur mit auffallend vielen Mehrfach-Bögen und steilen, geländerlosen Treppenstiegen an den Außenmauern, beides Beispiele der sogenannten „Kragsteintechnik“, einer für den Hauran typischen und besonders dauerhaften Trage und Stützkonstruktion, aber auch wegen rätselhaft zahlreichen Kirchen. Zeitlich klar einzuorden sind die großen Stallungen unter den Häusern, die noch recht gut erhaltene byzantinische Kaserne und der Amtssitz eines römischen Prätors.

Auf die Spuren der Römer, die mit der „Dekapolis“ Stadt Gerasa (Jerash) nördlich von Amman eines der großartigsten Beispiele ihrer Architektur hinterlassen haben, stößt man hier auf Schritt und Tritt. Mit dem „Limes Arabicus“ hatten sie ihre im zweiten Jahrhundert unter Kaiser Trajan eroberte „Provincia Arabia“. Einzelne Glieder der von Bosra aus nach Südan führenden Kette von Kastellen, Lagern, Zivilsiedlungen und Wachttürmen sind erhalten geblieben, wenn auch viele davon in späteren Zeitun unter arabischer Herrschaft überbaut oder umgebaut wurden, viele wurden durch ein großes Erdbeben im achten Jahrhundert zerstört, eine der Naturkatastrophen, wie sie immer wieder den syrischen Großraum heimsuchten und denen im Lauf der Jahrtausende viele bedeutende Kulturstätten zum Opfer gefallen sind. Lange Zeit war danach das Basaltland nur Lebensraum nomadisierender Hirten, bis es durch drusische Siedler und seßhaft werdende Beduinen neue Impulse erhielt.

Die kleine, dicht an der syrischen Grenze verlaufende strauße, an der Umm el-Jemal liegt, führt durch mehrere Orte, in deren Zentren schwarze Ruinen stehen, die aussehen, als wären sie die Rückstände einer Feuersbrunst. Doch es sind Reste aus der Vergangenheit, die in die Gegenwart einbezogen sind. Die Szenerie, die sich hier bietet, dürfte jener vor Jahrtausenden nicht unähnlich sein, als Karawanenhändler, Viehhirten und Soldaten den Ort bevölkerten: Kinder spielen in den geschichtsrächtigen Steinhaufen, Ziegen klettern auf der Suche nach Grashalmen umher, alte Männer sitzen müßig im Schatten baufälliger Gewölbe, und verschleierte Frauen hängen ihre Wäsche zwischen antiken Türpfosten auf. Nur Fernsehantennen und Autos weisen auf die Neuzeit in Subheya, Umm el-Qutein, Deir el-Kahf oder Umm es-Surab, kleine Orte, in denen die Unrehe dieser Tage, wie sie etwa auf dem nahen „Amman-Bagdad-Highway“ herrscht, nicht zu existieren scheint.

Lebhafter geht es in dem Städtchen Mafraq zu, dessen Name - „Verbindungsstelle“ - schon andeutet, daß sich hier die Verkehrswege nach Syrien, Saudi-Arabien und dem Irak kreuzen. Ein unaufhörlicher Strom von Autos und Lastwagen wälzt sich mitten durch das Zentrum, und das Überqueren der Straße wird zum Hasardspiel. Gefährlich freilich war es hier schon immer. Räuberische beduinische Stämme bedrohten während der letzen Jahrhunderte die hier auf dem Weg nach Mekka durchziehenden Pilgerzuge, kassierten Wegezoll und machten militärischen Begleitschutz für die Wallfahrer erforderlich. Sichere Zwischenunterkünfte fanden die Reisenden nur in eigens errichteten Pilgerforts. Heute, da viele Beduinen seßhaft geworden sind und haupstächlich von der Zucht von Schafen, Ziegen und Kamelen leben, muß man sie nicht mehr fürchten. Am Wege sitzen nur noch die Frauen in ihren schön bestickten Kleidern, die Obst, Gemüse, Zigaretten und Kurzwaren anbieten, um den Haushaltsetat aufzubessern. In der fremden faszinierenden Welt der Beduinen liegt auch Jawa, die „verlorene Stadt“, ein magischmystischer Ort aus vorgeschichtlicher Zeit, im Nordosten der jordanischen Steppe. Auf Landkarten ist er nicht eingezeichnet, und so ist man auf die Hilfe Einheimischer angewiesen. „Dschaua“, sagt ein alter Mann und zeigt weit hinaus in die Ferne - die typische Geste der Wegbeschreibung in der Wüste.

Jawa, 1931 entdeckt von dem Archäologen Svend W. Helms und als die älteste, am höchsten entwickelte Stadt des Landes und die am besten erhaltene aus dem vierten Jahrtausend vor Christus bezeichnet, ist auf den ersten Blick nichts anderes als ein Steinmeer inmitten eines Wadis gelegen, war die Siedlung in eine Ober - und eine Unterstadt unterteilt. Sichtbar sind heute noch neben den vagen Umrissen der ausgedehnten Anlage zwei kolossale Wälle und die Restew großer Zisternen, von denen eine rekonstruiert ist und immer noch als Wasserreservoir dient. Beim Anblick dieses schwarzen Trümmerfelds bleibt es der Phantasie des Betrachers überlassen, sich ein Bild von dem Leben zu machen, das hier einst herrschte. Den Wissenschaftlern allerdings hat die Stadt Botschaften hinterlassen, die Aufklärung in wichtigen Punkten geben und den Ort unter die bedeutendsten archäologischen Stätten Jordaniens einreihen. Ein Volksstamn ungewisser Herkunft erbaute ihn im Chalkolithikum, in der frühen Bronzezeit zwischen 3750 und 3350 vor Christus. Durch die Anlage von Staudämmen und Reservoirs sicherten sich die Bewohner - vermutlich zwischen drei- und fünftausend - die Grundvoraussetzung zum Überleban in dieser ariden, unwirtlichen Gegend, und vor Überfallen beutegieriger Nomaden schützten sie sich durch mächtige Mauern. Im dunkeln liegt, warum sich die Jawaiten gerade in einer von der Natur so benachteiligten Gegend niedergelassen haben, und ungeklärt ist der Verbleib des Volkes. Seine Spruren verlieren sich um 3000 vor Christus. Die nächsten tausend Jahre blieb die Stätte verlassen, bis zu einer neuerlichen Besiedelung in der mittleren Bronzezeit. Viel später, in den ersten Jahrhunderten nach der Zeichen mit altarabischen, sogenannten „safaitischen“ Felsritzungen Ort vergessen, versunken in der Wüste, wie er heute noch jeden Tag versinkt, wenn die untergehende Sonne den Himmel rostrot färbt und sich in der Dämmerung die Konturen der Trümmer verflüchtigen.

Ein amstrengendes Wunder

  • Fortsetzung von Seiote

Spalten klaffen in vielfältigen Formen wie offen Tore, Fensterhöhlungen oder Brunnenbecken.

Freeclimber und Extrembergsteiger haben in diesen Felsen langst ihr Dorado gefunden; auch Drachenflieger und Ballonfahrer kommen immer öfter in das Wadi Rum. Wo das Wadi in die Sandpiste mündet, scharen sich ihre winzigen bonbonbunten Igluzelte um eines jener ausladenden traditionelle Beduinenzelte, von denen vor Jahren hier noch viele standen. Inzwischen jedoch weiden die Kamele der Wüstenpolizei vor einer Ansammlung lehmfarbener Kuben. Eines dieser „Häuser aus Haar“, wie die mit Ziegenhaardecken bedeckten Beduinenzelte genannt werden, wurde allerdings noch im Hof des Forts aufgeschlagen. Dortsitzen die Wüstensöhne in glänzenden Jogginghosen und schlürfen Minztee oder mit Kardamom gewürzten Kaffee. Zufrieden lächelt König Hussein von einem Plakat, das jemand an einen Baumstamm geheftet hat, auf die Runde herab.

„Die Leere der Wuste und die Fulle Gottes“, schrieb T.E. Lawrence, suche der Mensch in der Wüste. Dem eiligen Rundreisenden bleibt für solch eine Suche keine Zeit. Er muß nehmen, was das Reiseprogramm ihm bietet oder was ein glücklicher Augenblick ihm schenkt.

Der Tag sollte jung sein für Petra, hatte Atef gesagt. Doch schon am frühen Vormittag flirrt hier die Hitze, drängen sich Menschen, Pferde und Kutschen vor dem Eingang zum Sik. Gut zwei Kilometer windet sich der Hohlweg vom Pferdesammelplatz am Eingang des Petra-Geländes bis ins eigentliche Zentrum der zweitausend Jahre alten nabatäischen Metropole. Nahezu lotrecht ragen die Wände der Schluchten hoch in den Himmel. An manchen Stellen schrumpft dessen Bläue zu einem winzigen Strich. Nach der letzten Biegung freilich verfliegt alle Beklemmung und Düsternis: Rotgolden leuchtet zwischen den schattenschwarzen Wänden die reich sklulptierte Fassade des „Schatzhauses“ auf, die, wie die ganze Stadt, aus einem wuchtigen Sandsteinmassiv modelliert wurde.

„Welcome, welcome“ schallt es dem Ankömmling entgegen, als er aus der Felsenenge auf einen geräumigen Platz hinaustritt. Souvenirhändler haben dort ihre Verkaufstische aufgeschlagen, bieten Talmiketten und vorgeblich echten alten Beduinenschmuck sowie Münzen und tönerne Scherben feil.

Das schönste Mitbringsel sind jedoch Flaschen, in denen aus verschiedenfarbigem Sand kleine Wüstengemälde enstanden: schwarze Kamele, rote Felsen, weiße Wolken und ein blau-violetter Himmel sind zu sehen. Farben, die auch im Innern der turmhohen Gräber und Tempel zu finden sind, die hinter den monumentalen Fassaden liegen.

Nur ein Bruchteil der Bauten wurde bislang ausgegraben. Doch schon um dieses Fragment zu erkunden, brauchte es Tage, Petra ist ein anstrengendes Wunder. Wir aber können nur ein paar Stunden bleiben. Vor dem Theater-Halbrund warten bereits die für den Rückweg bestellten Pferde. Das Gros der Beduinenfamilien in Wadi Musa, sagt Atef, lebe ausschlieb lich von Souvenirhandel und Pferdeverleih. Vielleicht wird, wenn der Friede mit Israel erst Alltag worden ist, der Petra-Besucher hier nicht nur „Hello“, „Bonjour“ und „Salam“ zu horen bekommen, sondern auch ein freundliches „Shalom.“

 

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